Weltwoche Editorial 04/20

Editorial

Unterwerfung

Von Roger Köppel

Was der Fall Harry und Meghan über unsere Zeit aussagt.

D

ie britische Monarchie ist im Selbstheilungsmodus. Die greise Queen handelt wie ein ausgebuffter Unternehmer. Ihre Instinkte sind bewundernswert. Als sie merkte, dass Prinz Harry und Meghan Markle ein Ego-Projekt durchziehen wollten, zog sie die Reissleine. Mit cooler Eleganz befreite sie das Glamour-Paar von seinen Titeln und ihre Familie von einem Unruheherd. Die 93-Jährige beeindruckt als Führungskraft.

Die Queen gab keinen Millimeter Boden preis. Nicht umsonst nennt sie das Königshaus «The Firm», die Firma. Wer dazugehört, muss sich an die Regeln halten, sonst fliegt er raus. Meghan und Harry wollten die Vorteile der royalen Marke, aber ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Das wäre ungefähr so, wie wenn ein entlassener Rolex-Manager weiterhin seine Firmenkreditkarte benutzen möchte. Harry und Meghan wollten nicht dienen, sondern dominieren. Die Queen legte ihr Veto ein.

Das britische Magazin The Economist vermutet, die Familienquerelen könnten die Monarchie bedrohen. Solange die Königin am Leben ist, scheint diese Gefahr gebannt. Sie hat das Problempaar mit ihrem chirurgischen Eingriff entfernt. Die Firma bleibt. Ihr Sohn Charles allerdings ist bereit, den beiden weiterhin Millionen hinterherzuwerfen. Daran sieht man, dass er aus anderem Holz geschnitzt ist als die prinzipienfeste Mutter. Kann Charles die Firma nach dem Tod von Elizabeth II. zusammenhalten?

Für die US-amerikanische Schauspielerin Meghan Markle war das britische Königshaus eine Plattform zur Steigerung des eigenen Markt- und Markenwerts. Sie sah die Monarchie als eine Art Hollywood mit alten Möbeln. Und sie hat bekommen, was sie wollte. Ihre Bekanntheit ist gigantisch. Mit Söhnchen Archie hat sie sich blutsmässig auf ewig an den Prinzengatten Harry gebunden. Während dieser sichtlich leidend die Familienangelegenheiten in England abwickelte, flanierte Meghan mit ihrem Baby wieder gut gelaunt in Kanada. Sie ist die grosse Siegerin des Schlamassels.

Harry hingegen verliert fast alles für die Frau, die er liebt und der er sexuell verfallen ist: seine Titel, seine Uniformen, seinen Rang in der Thronfolge, die Paläste, seine Familie. Der frühere Afghanistankämpfer mit einem Flair fürs Militärische (und für SS-Uniformen) darf künftig nicht einmal mehr seine geliebten Armeeaufgaben wahrnehmen. In seiner letzten royalen Rede drückte er darüber sein Bedauern aus. Offenbar hat Harry diese Degradierung weder gewollt noch erwartet. Besonders intelligent scheint er nicht zu sein. Sonst hätte er vorher mit der Familie Gespräche geführt und sie nicht einfach überrumpelt.

Harry und Meghan haben ihre Rechnung ohne die Queen gemacht. Sie wollten die Früchte ohne den Schweiss. Das übergreifende Thema hier heisst Loyalität.

Ikone der Loyalität: Elisabeth II.

Loyalität bedeutet innere Verbundenheit mit einer Sache oder mit einem Menschen oder mit einer Gemeinschaft auf der Grundlage gemeinsamer moralischer Vorstellungen und Ziele. Ohne Loyalität können weder Familien noch Unternehmen bestehen, und auch Königshäuser gehen zugrunde, wenn es ihren Angehörigen an Loyalität mangelt. Loyalität ist freiwillige Unterwerfung. Loyalität ist das, was die Queen mit ihrem entschlossenen Handeln demonstriert, Loyalität gegenüber ihrer Familie und den damit verbundenen Pflichten, für die Harry und Meghan kein besonderes Musikgehör zu haben scheinen.

Der Fall Harry und Meghan zeigt, dass das moralische Immunsystem der britischen Monarchie und Gesellschaft intakt sind. Kaum jemand hat das Verhalten der beiden Abtrünnigen gelobt. Selbst Skeptiker der Königin sind fasziniert von ihrer Gradlinigkeit. Das zeigt: Loyalität und nicht Illoyalität steht hoch im Kurs. Es mag in allen Sphären der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Kunst und auch des Journalismus Loyalitätsprobleme geben, also Exponenten und Individuen, die nicht mehr wissen, wem gegenüber sie loyal und zuverlässig sein sollen. Doch die breite Empörung oder das höhnische Gelächter über Harry und Meghan machen deutlich, dass wir in Zeiten leben, in denen Loyalität zwar oft missachtet, aber eben dennoch hoch geschätzt wird.

Loyalität ist unter vielen anderen vermutlich der zentrale Leitwert, den das britische Königshaus vorlebt. Und dem es sein eigenes Überleben verdankt. Ohne diese Loyalität zur Krone, zur Pflicht, zu Grossbritannien wäre diese Einrichtung längst gestorben. Loyalität heisst Selbstverzicht und Unterordnung, Zurückhaltung und Bescheidenheit, was die eigene Person angeht. Die Aufgabe steht über allem. Wenn darüber nicht mehr Klarheit herrscht, gerät jede Organisation ins Wanken. Die Queen ist die Verkörperung, ist die Ikone der Loyalität. Ihr Leben ist Opfer, auch wenn sie in Palästen haust. Politiker brennen nach ein paar Jahren aus. Die Queen hält durch, nach wie vor, ein ganzes Leben lang, und sie hält ihre Firma mit charmanter Zähigkeit zusammen. Sie gehört zu den beeindruckendsten Persönlichkeiten der Gegenwart.

Ohne Loyalität geht es nicht. Wenn es in Familien, in Firmen, in der Politik bei der Loyalität nicht mehr stimmt, geht es abwärts. Loyalität ist das unsichtbare Gewebe, das Verbindungen erfolgreich macht. Loyalität aber – das zeigt der aktuelle Fall – ist nicht selbstverständlich. Sie muss eingefordert werden. Bleibt sie trotzdem aus, hat sich die Gruppe von jenen zu trennen, die ihr die Loyalität verweigern.

Harry und Meghan sahen die Monarchie als Resonanzkörper ihrer persönlichen Vorlieben und Geschäftsinteressen. Nicht sie dienten der Institution, sondern die Institution hätte ihnen dienen sollen. Die Entschiedenheit, mit der die Queen auf diesen allzu menschlichen Missbrauch reagierte, macht nicht nur ihre Faszination aus. Sie macht sie zum Vorbild.

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