Chef gesucht
Von Roger Köppel
Die SVP wirkt nach dem halbfreiwilligen Abgang ihres Präsidenten etwas ratlos. Worauf es jetzt ankommt.
ie SVP sucht einen neuen Präsidenten, aber niemand scheint den Job zu wollen. Nach dem halbfreiwilligen Abgang des bisherigen Amtsträgers Albert Rösti macht die Volkspartei einen etwas ratlosen Eindruck. Im März soll der oder die Neue gewählt werden. Bereits im Mai steht die wichtige Abstimmung über die Begrenzungsinitiative bevor. Kann es sich die SVP leisten, im Vorfeld dieser Schlacht mit einem abtretenden General zu kämpfen und ungewisser Führung?
Themen vor Pöstchen, lautet eine hehre Devise der Partei, aber gewisse Posten müssen eben doch besetzt werden. Intern wird mehr oder weniger laut darüber gerätselt, warum Rösti ging oder teilweise auch gegangen wurde. Klar, die Resultate waren nicht berauschend. In der Romandie verliert die SVP seit 2011 markant, aber Rösti ist erst seit 2015 an der Spitze. Ist es sein Fehler, wenn sich der Waadtländer SVP-Bundesrat Guy Parmelin in heimatlichen Gefilden nun nicht gerade als Mobilisierungsgranate erwiesen hat? Wohl kaum.
Die Schach- und Winkelzüge ums SVP-Präsidium wirken erstaunlich wenig durchdacht. Erstaunlich deshalb, weil die SVP als strategisch weitsichtig geführte Partei gilt. Meistens standen die Nachfolger bereit, als die Rücktritte ihrer Vorgänger bekanntwurden. Auf Hans Uhlmann folgte nahtlos Ueli Maurer. Als Maurer ging, stand Vizepräsident Toni Brunner bereit. Sein Rückzug mündete bruchlos in die Ära Rösti, hinter der sich nun Horizonte der Hoffnung oder Abgründe der Ratlosigkeit öffnen, je nach Stimmungslage und Einschätzung. So viel Blindflug war selten. Warum es so kam? Eigentlich weiss es niemand.
Nun hängen Wohl und Wehe einer Partei nicht ausschliesslich am nationalen Präsidenten. Christoph Blocher prägte die Schweizer SVP als Vorsteher der Zürcher Kantonalsektion. Nach dem eidgenössischen Spitzenposten strebte er nie. Seinem Selbstverständnis nach spielen Hierarchien und Ämter eine untergeordnete Rolle. Entscheidend seien Qualität und Leistung der Persönlichkeit. Gute Leute setzen sich immer durch, egal, von wo aus sie wirken. Politiker, die Karriere machen wollen, haben das falsche Motiv. In der Politik werde zu sehr von Ämtern und zu wenig von der Sache geredet.
Das alles stimmt, trotzdem braucht die SVP sehr bald einen neuen Präsidenten. Intern spürt man Unruhe. Das liegt in der Natur der Sache, hat aber auch damit zu tun, dass sich derzeit niemand aufdrängt. Viele winken ab, hinter vorgehaltener oder weniger vorgehaltener Hand. Fast täglich fallen neue Namen. Das ist aus Sicht der Partei zum einen erfreulich, weil es anscheinend viele denkbare Kandidaten gibt. Auf der anderen Seite kommt darin auch Beliebigkeit zum Ausdruck. Möglicherweise ist nicht ganz so klar, wohin die Reise gehen und wer dafür der richtige Kapitän sein soll.
Eine starke Position hat Magdalena Martullo, politisch nach ihrem Bündner Wahltriumph, unternehmerisch als glänzende Konzernchefin, herkunftsmässig als Spross der berühmtesten Schweizer Politfamilie. Die dreifache Mutter und Unternehmerin aber steht nicht zur Verfügung, weil man unmöglich die Partei und den eigenen Betrieb gleichzeitig führen kann. Gleichwohl wird sie als Vizepräsidentin mit Führungsanspruch viel Macht und Einfluss ausüben. Zugespitzt: Wer wird mit, wer wird unter Martullo der neue Chef, die neue Chefin?
Die Findungskommission unter Ex-Fraktionschef Caspar Baader hat aber noch einen anderen Aspekt zu berücksichtigen. Was eigentlich ist das grösste aktuelle Problem der SVP? Intern scheint man sich auf eine Analyse zu verständigen, nach der die Einbussen des letzten Jahrs neben der Themenkonjunktur auch mit der Vernachlässigung von Führungsdetails zu tun gehabt haben. Gefragt sein könnte demnach ein fleissiger Organisator, eine Art Hüttenwart an der Parteispitze, der sich selbstlos in die Sektionen stürzt, um der Partei von unten, in den Kantonen wieder mehr Mobilisierungseuphorie einzupflanzen. Kein dominantes Alphatier, dafür ein empathiebegabter Spielertrainer, der bei den Leuten ankommt. Das klingt alles einleuchtend, nur hätte man Editorial Chef gesucht Die SVP wirkt nach dem halbfreiwilligen Abgang ihres Präsidenten etwas ratlos. Worauf es jetzt ankommt. Von Roger Köppel dann Rösti behalten können, der diese Qualifikationen mitbringt – und noch mehr.
Mit Blick auf künftige Kämpfe und Schlachten kann man es aber auch ganz anders sehen. Die SVP der letzten Jahre hatte kein Führungs-, sie hatte ein Charisma-Problem. Nach den glorreichen Jahren mit dem Jahrhundertphänomen Christoph Blocher, dem fröhlichen Instinktgenie Toni Brunner und dem Berner Oberländer Vollkontakt-Rhetoriker Adrian Amstutz kehrte Prosa ein. Rösti war ein Präsident, der Substanz und gute Stimmung, aber wenig Autorität verbreitete. Die Gegner hatten keine Angst vor ihm. Fraktionschef Thomas Aeschi ist ein brillanter Intellektueller, ein Präzisionsmaschinengewehr der Fakten und Tabellen, aber kein Tänzer und Info-Entertainer, der die Säle zum Kochen bringt.
Mit finsterer protestantischer Pflichterfüllung allein wird die SVP die kommenden Abstimmungsschlachten kaum gewinnen. Mehr präsidiales Charisma scheint unverzichtbar, mehr Zug aufs Tor an der Spitze, mehr Humor und heitere Einschüchterungskompetenz, die den anderen Parteien wieder Furcht einflösst. Die Begrenzungsinitiative im Mai ist dabei übrigens weniger chancenlos, als die Medien suggerieren. Laut einer Umfrage des Politologen Georg Lutz ist eine Mehrheit von 55 Prozent (!) der Wähler der Ansicht, die Zuwanderung müsse begrenzt werden. Das Potenzial ist da, aber die SVP wird in diesen Auseinandersetzungen einen Chef, eine
Chefin benötigen mit maximaler Argumentationspräsenz gegen eine Dauer-Übermacht von Gegnern.
Und schon bald nach dem Kampf um die Migration folgt die Mutter aller Schlachten um den institutionellen Rahmenvertrag. Da werden alle Kameralinsen und Mikrofone wie Zielfernrohre auf die SVP-Spitze gerichtet sein. In diesem Scheinwerfergewitter sollte der Präsident, sollte die Präsidentin nicht nur bestehen, sondern auch abräumen und überzeugen können: allein gegen alle andern und die Medien.
Wen auch immer die SVP-Delegierten im nächsten März zu ihrem Präsidenten wählen: Es geht nicht nur um die Zukunft der Partei, es geht um die Zukunft der Schweiz.